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Von Santiago zum Nordkap: Tag 140 – Raahe – Kempele ca. 77 km/7744 km
Ein Nackidei
Nach gutem Schlaf sind wir verhältnismäßig früh wach, da die Sonne wieder auf das Zelt scheint und es in kurzer Zeit so stark erhitzt, dass wir raus müssen. Es ist schon recht windig, sodass die strengen Gerüche nicht mehr so wahrzunehmen sind wie gestern Abend. Die Abortfliegen („Fäkalfliegen“), die überall zu sehen sind, sprechen ihre eigene Sprache. Hier hält uns nichts mehr.
Mit Mühe schieben wir unsere Räder durch den tiefen Sand zurück zum Weg. Beim ersten Kontakt mit dem Sattel verziehen wir beide das Gesicht vor Schmerz. Die Hintern sind ganz schön gereizt und überbeansprucht. Ich frage mich, wie es die Leute aushalten, die täglich 100-120 km radeln. Wahrscheinlich sind sie deutlich schneller als wir und sitzen nicht so lange auf dem Sattel…
Über den holperigen Schotterweg geht es zurück zur Hauptstraße. Als wir dort links auf den Radweg abbiegen, freuen wir uns sehr, denn wir haben Rückenwind! Die ersten 45 km vergehen also wie im Flug. Für unsere Mittagspause finden wir ein schattiges Plätzchen unter einem Baum vor einer Kirche. Als wir zwei Bikepacker vorbeifahren sehen, winken wir ihnen freudig zu und sie kommen prompt auf einen kleinen Austausch vorbei. Ein französisches Pärchen, das einen Teil der Strecke, die noch vor uns liegt, bereits zurückgelegt hat. Sie erzählen, dass sie auf den Lofoten gestartet sind, dann haarscharf am Nordkap vorbeifuhren, auf „unserer“ Route bis hierher radelten und jetzt weiter bis Helsinki, rüber nach Tallinn, durch die 3 Baltischen Länder, Polen und Deutschland bis nach Hause reisen. Vier Monate wollen sie ungefähr unterwegs sein. „Das ist genug für unsere Beine“, sagt der Mann. Mit guten Wünschen verabschieden wir uns voneinander.
Der Nachmittag wird etwas anstrengender, da es ziemlich brütig geworden ist und der Wind irgendwann doch wieder halbwegs von vorne kommt. Für heute Nacht haben wir uns einen Strand kurz vor Oulu ausgeguckt. Als wir dort ankommen, kundschaften wir zuerst die Umgebung aus, wo wir hier am besten unser Zelt platzieren können. Auf einem Wiesenparkplatz nebenan, der etwas durch Bäume vom dem Strandgeschehen abgeschirmt ist, steht bereits ein Camper, vor dem es sich vier Frauen gemütlich gemacht haben. Das sieht für uns nach einem guten Platz aus. Mit dieser Gewissheit um einen Schlafplatz gehen wir uns erstmal in der Ostsee abkühlen. Es kostet zwar viel Überwindung, in das kalte Wasser zu springen, aber es tut richtig gut!
Nachdem wir wieder etwas getrocknet sind, beobachten wir ein wenig das Treiben und machen einen kurzen Spaziergang. Auf dem Weg kommt uns plötzlich ein nacktes, kleines Eichhörnchen entgegengehopst. Es kommt direkt auf uns zu und versucht sogar, an Josi hochzuklettern. Es hüpft auf der Straße umher und wir sind etwas überfordert mit der Situation, denn es biegen immer mehr Autos in die Straße. Wir stoppen den gesamten Verkehr und versuchen, das kleine, scheinbar verängstigte Wesen von der Straße in einen angrenzenden Garten zu scheuchen, wo es hergekommen ist. Irgendwann gelingt es uns auch und der Verkehr kann wieder fließen. Alle sind zum Glück ganz gelassen geblieben und niemand hat gehupt. Später lesen wir nach, dass es wohl nackte Eichhörnchen mit einem Gendefekt gibt und wir alles richtig gemacht haben, indem wir es erstmal zurück gescheucht haben, so dass die Mutter es zurückholen kann, falls es aus dem Nest gefallen ist.
Wir begeben uns schon einmal an den Platz, wo wir unser Zelt aufstellen wollen, da kommt die Frau aus dem Camper zu uns herüber und stellt sich als unsere Nachbarin vor. Ob uns ihre Musik stören würde, fragt sie noch. Es ist kein Schlager und sehr leise, also lautet unsere Antwort: „Nein.“ Wir sind einfach froh, dass wir hier so entspannt und selbstverständlich bleiben können.