https://youtube.com/watch?v=K8AD6TtdIJA&feature=share
Von Santiago zum Nordkap: Tag 157 – Stranda – Nordkap ca. 76 km/8744 km
Das Nordkap und ein unspektakuläres Loch im Berg
Heute ist ein besonderer Tag. Wir haben uns vorgenommen, die verbleibende Strecke bis zum Nordkap an diesem Tag zu schaffen. Nach dem stärkenden Frühstück machen wir uns im Sonnenschein auf den Weg und werden wieder von diesem kalten Gegenwind begrüßt. Die ersten Kilometer sind noch moderat, doch dann stehen wir vor einem schwarzen Loch im Berg, dem Nordkap-Tunnel. 9 % Steigung warten hier auf uns, die sich über fast 3 km hinziehen. Insgesamt ist der Tunnel fast 7 km lang und 212 m an der tiefsten Stelle unter dem Atlantik. Wir stärken uns vor dem Tunnel mit ein paar Nüssen und Keksen und stecken uns Ohrstöpsel in die Ohr, bevor wir uns hinein wagen.
Mit klopfendem Herzen fahren wir schließlich in den schwarzen, tiefen Schlund. Eine Eiseskälte, Gestank, Lärm und Feuchtigkeit empfangen uns hier. Der Anfang geht schnell und in 4 Minuten sind wir am tiefsten Punkt angekommen. Nun beginnt der mühsame Anstieg. Zuerst noch moderat, dann wird es immer steiler und steiler, bis nichts mehr geht. Ich muß anhalten und eine Pause machen. Josi fährt tapfer weiter. Der Schweiß läuft. Ich versuche es noch einmal und schaffe ein paar Meter. Keine Chance, ich muss schieben. Erst kurz vor dem Ende kann ich wieder fahren. Das Licht am Ausgang des Tunnels motiviert mich zusätzlich. Josi steht schon dort und feuert mich an. Erschöpft stehen wir auf dem kleinen Parkplatz hinter dem Tunnel. Es bleibt keine Zeit, diesen Moment gemeinsam zu genießen, denn auf dem Platz sind bereits Angelo und ein weiterer Radler. Wir klatschen uns gegenseitig ab und sind alle stolz, diese Herausforderung gemeistert zu haben!
Nach der kurzen Verschnaufpause geht es weiter zum nächsten Supermarkt. Dort kaufen wir ein paar Kleinigkeiten ein und machen unsere Mittagspause hinter dem Laden in der Sonne. Nun stehen uns die letzten 35 km bis zum Nordkap bevor….
Wir haben von den verschiedensten Leuten schon gehört, wie anstrengend das letzte Stück zum Nordkap sein soll, aber wie anstrengend es tatsächlich ist, erfahren wir in den nächsten 4 Stunden.
Die Natur um uns herum wird immer schöner und schroffer. Wir kämpfen uns die Berge hinauf. Kilometerlange Steigungen, ähnlich dem Tunnel, die von unten aus der Ferne unüberwindbar erscheinen. Je höher wir kommen, desto spektakulärer ist der Ausblick über die unglaubliche Berglandschaft. Die Weite und unberührte Natur lassen uns demütig werden. Immer weiter geht es nach oben und es bleibt nur wenig Zeit, anzuhalten und die Ausblicke zu genießen, denn durch den starken Gegenwind, der in diesem Fall der absolute Endgegner ist, kühlen wir binnen weniger Minuten aus. Das Thermometer zeigt 6 Grad. Dafür haben wir immer noch Sonnenschein, was für ein Glück!
Sechs Kilometer vor dem Ziel müssen wir auf die Schnelle noch ein paar Nüsse und Riegel essen, damit wir die letzten Anstiege überhaupt noch schaffen. Wir frieren und versuchen, uns wieder warm zu strampeln. Ein Camper steht am Wegesrand und die Frau applaudiert uns aus dem Inneren heraus. Der Mann öffnet die Tür und ruft: „Bravo!“ Das tut gut! Am liebsten hätte ich gefragt, ob wir uns in ihrem Campingbus etwas aufwärmen dürfen. Diese letzten Kilometer ziehen sich gefühlt eine halbe Ewigkeit hin. Wir beobachten, dass sich der Himmel immer weiter zuzieht und der berühmte Nordkap-Nebel aufsteigt.
Kurz vor unserem Ziel stehen wir dann auf einer Anhöhe und haben den ersten Blick auf das Nordkap mit seinem Museum und den zig Campingwagen davor. Wir halten kurz an und inne. Nun ist es wirklich zum Greifen nahe. Noch eine letzte Rampe und dann kommen wir erschöpft und ausgepowert am Eingangshäuschen an. Ein Mann begrüßt uns freundlich und fragt uns, wo wir herkommen. Auf unsere Antwort hin erwidert er, dass er Spanier sei und schon 3 Mal in Santiago de Compostela war. Wir fallen fast vom Glauben ab. Da radeln wir knapp 8800 km von Spanien bis zum Nordkap und dann sitzt dort ein Spanier, der uns als erster Mensch zu unserem Ankommen gratuliert.
Mit letzter Kraft fahren wir um das Gebäude herum und sehen schon das Monument, die Weltkugel aus Metall. Plötzlich fällt alles von uns ab und die Tränchen kullern über unsere kalten, roten Wangen. Kaum erreichen wir den Globus, werden wir auch schon von mehreren Menschen umgeben und ausgefragt. Wieder bleibt keine Zeit, diesen Moment gemeinsam und in Ruhe zu genießen. Eine Frau ist so lieb und macht ein paar Fotos von uns. Gar nicht so einfach, hier ein Bild ohne andere Menschen im Hintergrund zu bekommen. Wir schaffen es fast und bekommen sogar noch die letzten Sonnenstrahlen im aufsteigenden Nebel mit. Danach begeben wir uns zügig in das Gebäude und suchen uns einen gemütlichen Platz im warmen Restaurant. Die Klamotten sind komplett nass geschwitzt und die Wärme tut jetzt richtig gut! Die Kellnerin ist auch Spanierin und steht mit offenem Mund vor uns, als wir ihr von unserer Reise erzählen. Bis Mitternacht sitzen wir noch in dem Restaurant und genießen den Moment des Angekommenseins.
Als wir gerade aufbrechen wollen, um unser Zelt aufzustellen, treffen wir Angelo, der es auch geschafft hat. Wir umarmen und gratulieren uns gegenseitig. Dann stellen wir unser Bett an einem der wohl spektakulärsten Orte der Welt auf. Müde, stolz, erschöpft und zufrieden liegen wir in unseren kuscheligen Schlafsäcken und es dauert keine 2 Minuten, bis wir einschlafen.
Und das Schönste ist: Hier ist die Reise noch nicht zuende. Denn ab morgen geht es Richtung Heimat. Vom Nordkap nach Pahlen.