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Von Santiago zum Nordkap: Tag 84 – Kolbnitz – Sankt Michael im Lungau ca. 59 km/4492 km
Hart an der Grenze
Guten Morgen, Muskelkater! Als ich aus dem Bett steige, spüre ich einen neuen Muskelreiz in meinen Beinen. Das mit der Wanderung war wohl keine so gute Idee. Josi hat allerdings keine Probleme. Wir genießen unser Frühstück und freuen uns bei dem Blick aus dem Fenster über das freundliche Wetter. Trotzdem ziehen wir heute wieder unsere Winterkluft an und präparieren alles für den Fall von Regen.
Um halb zehn geht es im Sonnenschein los, aber der mäßige Wind ist eisekalt. Sogar die Handschuhe ziehen wir an. Ein paar Kilometer müssen wir noch „rückwärts“ fahren, bevor wir dann links hoch in Richtung des Katschberges abbiegen. Anfangs ist die Steigung noch moderat und wir kommen durch viele hübsche Dörfer. Es ist kaum Verkehr auf den Straßen, was die Fahrt sehr angenehm macht.
In der Künstlerstadt Gmünd kommen wir an einem Haus vorbei, vor dem eine ältere Dame steht. „Wo soll’s denn hingehen?“ fragt sie uns. „Auf den Katschberg“, antworten wir. „Da geht’s steil rauf“, sagt sie. Bisher ist die Steigung noch gut zu bewältigen für uns und wir warten stetig auf das bittere Ende. Nach einer zweiten Pause ist es dann soweit. Die letzten 6 km sind so brutal steil (ca.15 %), dass wir sogar Mühe beim Schieben haben. Zwei Stunden brauchen wir für diese Prozedur. Arme und Beine zittern vor Anstrengung und wir wechseln immer wieder die Stellung zum Schieben, um die Arme unterschiedlich zu belasten. 50 m schieben, anhalten und verschnaufen – so geht es langsam voran.
Ein LKW kommt uns entgegen, dessen Bremsen schon qualmen und stinken. Die Motoren der verschiedenen Fahrzeuge heulen beim Hoch- und beim Runterfahren, doch hier gibt es keine motivierenden Grüße. Alle sind vielleicht zu sehr auf diese krasse Straße konzentriert.
Nass geschwitzt und total am Ende unserer Kräfte erreichen wir schließlich am frühen Abend die Katschberghöhe auf etwa 1640 m. Hier oben ist es fast unheimlich still. Eigentlich ist es ein belebter Skiort, doch zu dieser Zeit ist hier niemand. Wie ausgestorben erscheint uns alles und es bläst ein scharfer Wind, der am Nachmittag ordentlich aufgefrischt hat. Bevor wir abfahren, ruft Josi bei der Herberge im nächsten Ort an. Die haben leider Betriebsfereien. Wir frieren und wollen einfach nur von diesem Berg runter. Die 5 km lange Abfahrt ist in nullkommanichts erledigt und ich zittere vor Kälte. Wir verlassen unsere Route und fahren in den Ort, um nach einer Unterkunft zu suchen. Einfach nur irgendwo rein und dann eine heiße Dusche!
Wir irren noch eine Weile umher und entdecken plötzlich ein Schild „Zimmer frei“ vor einem Haus und ich klingel. Eine Frau öffnet die Tür und schaut uns überrascht und erwartungsvoll an. Sie hat noch ein Zimmer für uns, das auch in unserem Budget liegt. Sogar eine kleine Küche ist dabei. Sie stellt sich mit Maria vor und möchte mehr über unsere Tour erfahren. Zu Anfang ist sie sehr erstaunt, dass wir über den Katschberg gefahren sind, und als wir erzählen, dass wir auf Europaradreise sind, bekommt sie sogar eine Gänsehaut. Wir sind sehr froh, hier gelandet zu sein, und fühlen uns sofort gut aufgehoben. Maria bietet uns sogar an, noch etwas für uns einzukaufen, damit wir schnell unter die heiße Dusche können. Wir sind sehr dankbar über diese Hilfsbereitschaft! Nachdem wir unsere Nudeln mit Tomatensoße verspeist haben, fallen wir erschöpft ins Bett.
Hätte uns vor drei Jahren jemand gesagt, dass wir heute mit dem Fahrrad über den Katschberg in den Alpen fahren/schieben, wir hätten es nicht geglaubt. Das war wohl die bisher härteste, körperliche Herausforderung auf dieser Reise.